Sonntag, 10. März 2013

Hin und weg IV: Die beste Linkskurve der Welt

  Winden, krümmen, buckeln, schlängeln. Rauf, runter. Berge, Meer. Wenn sich Radfahrerglück auf einer Skala von eins bis zehn darstellen ließe, so würde meine gestrige Runde mit dem Rennrad volle zehn Punkte bekommen.
  Eine große Ausfallstraße führt auf der einen Seite aus Bilbao nach Berango, unseren Wohnort, hinein. Und ein kleines Bergsträßchen auf der anderen Seite wieder hinaus - steil, kurvenreich und einsam.
Erst auf den nicht mal 300 Meter hohen Bergrücken des Munarrikolanda  hinauf, sogleich wieder ins Tal hinab, wo niedrige Steinmauern und Häuser aus Feldsteinen die Straße flankieren, Wiese und Wald sich abwechseln. Die ersten Bäume entfalten ihre Blütenpracht, scheu sprießen zarte hellgrüne Triebe. Auf von Gänseblümchen weiß gepunkteten Weiden kauen Schafe und Kühe, knorrige, noch laublose Eichen fangen den Blick ein und baskische Bauerndörfer dösen in der warmen Frühlingssonne.
  90 Kilometer lang war meine Frühlingsrunde - und so abwechslungsreich wie selten eine Tour. Bei 20 Grad war ich in kurzen Sommerklamotten unterwegs, so warm war es. Anfang März!

  Eine Weile schlängelt und buckelt sich die Straße durch gar nicht mal so sanftes Hügelland, durch Laukiz, Gatika, Meñaka, ehe sie zum kleinen Bergsträßchen wird, kurvenreich die Ostflanke des 683,80 Meter hohen Sollube erklimmt und dabei kleine Bergdörfer wie Arrieta durchquert. Oben kreuzt sie die Grenze zum Biosphärenreservat von Urdaibai. Urplötzlich senkt sich die Straße und wird schnell und steil. Dann öffnet sich der Wald  und gibt den Blick frei - weit nach Osten über die Gipfel des baskischen Küstengebirges:

  Man sollte dann lieber anhalten, damit man vor lauter Staunen und Gucken nicht vom Fahrrad fällt.

  Die Abfahrt ist wie ein Rausch, Kurven, Rampen, Linkskurve, Rechtskurve; die steilen Hänge streben dem Tal zu - es ist nicht irgendeines, sondern das Biosphärenreservat von Urdaibai. Flankiert von schroffen Bergflanken weitet sich das Tal des Flusses Oka zur Ría von Mundaka und mündet in den Golf von Bizkaya. Urdaibai gilt als das landschaftlich und ökologisch vielfältigste Gebiet im Baskenland. Es ist etwa zwanzig Kilometer lang und zwölf breit. Steilküste und Strände, Wälder und Flüsse, Flussufer und Marschländer bilden das Herz des Naturparks (mehr hier).
  In Mundaka weitet sich der Fluss zur Ría (wie man die hiesigen Meeresbuchten nennt, in denen sich Fluss und Meer mischen und Gezeiten herrschen). Die Straße oberhalb der Ría ist breit und wartet leider mit mehr Verkehr auf, doch ab dem Fischerstädtchen Bermeo mit seinem (wirklich!) malerischen Hafen, verengt sich das Asphaltband wieder und der Verkehr nimmt spürbar ab.

  An den Sandbänken von Mundaka bricht übrigens die berühmteste und beste Linkswelle Europas, die eine Weile ausgeblieben war, nachdem eine Werft die Flussmündung ausgebaggert hatte. Nun ist sie wieder da und die schwarzen Punkte weit unten im Meer sind Surfer!

  Aus der Bergstraße ist längst eine wildromantische Küstenstraße geworden - und sie ist nicht minder schön. Seit Jahrtausenden macht der Atlantik sich am nördlichen Küstengebirge der Iberischen Halbinsel zu schaffen und entsprechend schroff und zernagt ist das Gelände, durch das die Strecke führt. Die Straße folgt dem zackigen Küstenverlauf und umrundet dabei jede Bucht. Was ist schon die Linkswelle von Mundaka gegen die Linkskurve vor Bakio!

  Der Wind rauscht durch die Eukalyptusplantagen und Pinienwälder, Möwen kreischen und hinter fast jeder Kurve wartet ein Blick aufs Meer. Weit draußen glitzert eine Bohrinsel, noch weiter schippert ein Containerschiff in Richtung des Hafens von Bilbao. Und die Straße folgt dem wilden Takt des Geländes - mal geht es steil bergauf und hernach wieder runter. Tief unten leuchtet das Kloster San Juan de Gaztelugatxe von seiner Insel im Meer herauf und später, inmitten der grün bewachsenen Steilküste zwischen Bakio und Armintza verfällt das nie fertig gebaute Atomkraftwerk von Lemoiz. Heute dient es als Touristenmagnet und Nistplatz für abertausende Möwen, die die Ruine zwar nicht mit einem Betonpanzer wie manch ein havariertes AKW im Osten, wohl aber mit einer dicken Schicht aus Möwenkacke bedecken. Und dahinter sinkt langsam die Sonne ins Meer.
  Wie war das noch mit der Skala von eins bis zehn? Die Runde kriegt elf Punkte. Mindestens!



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